Corona und linke Kritik(un)fähigkeit Teil 10: Zum 8. März Frauen*kampftag
Weitere Infos zur Veranstaltungsreihe:
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Frauen sind von der Coronakrise besonders betroffen:
1. Was passiert auf dem Arbeitsmarkt?
Die Arbeit von Frauen ist wichtig, sie halten den Laden am Laufen, das wurde in der Pandemie sehr deutlich. Ihre Arbeit wurde als „systemrelevant“ bezeichnet, trotzdem ist sie häufig schlecht bezahlt. Sie haben täglich teils engen Kontakt zu vielen Menschen und damit ein erhöhtes Infektionsrisiko- durch die Notbetreuung der Kinder erhöhte sich das Risiko noch. Sie mussten noch mehr arbeiten. Eine Aufwertung der Berufe fand nicht statt. Krankenpflege (Frauenanteil 80 Prozent), Altenpflege (Frauenanteil 83 Prozent, Quelle jeweils statistisches Bundesamt), Verkauf im Lebensmitteleinzelhandel (Frauenanteil 73 Prozent) und Beschäftigte in der Kinderbetreuung (Frauenanteil 92 Prozent, Quelle jeweils Bundesagentur für Arbeit).
Die Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern haben sich verringert, so aus Mitteilungen der Hans- Böckler- Stiftung. Aber warum? Im ersten und zweiten Lockdown wurden auch viele Männer erwerbslos oder sind zur Kurzarbeit genötigt worden, was auch für sie Gehaltseinbußen bedeutete. Bei der offiziellen Arbeitslosenzahl gibt es keine großen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Aber die Arbeitslosenstatistik erfasst nicht alle, die in der Krise ihren Job verloren haben, so die verloren gegangenen Minijobs von Frauen. Die ersten Entlassungswellen im Zuge der Coronapandemie betrafen vor allem Sektoren, in denen viele Frauen arbeiten – wie Einzelhandel, Gastgewerbe und Tourismus. Entweder bekommen Frauen kein Kurzarbeitergeld, weil sie keine Arbeitslosenversicherung gezahlt haben, oder es ist nur ein Armutslohn, der kaum zum Begleichen der Mieten und Lebenshaltungskosten reicht.Kurzarbeit und Erwerbslosigkeit wirkt sich bei Frauen »häufig negativer« aus, wofür es zwei Gründe gibt: Erstens hängt das Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld vom Nettoeinkommen ab, das jedoch bei vielen verheirateten Frauen niedriger ausfällt – wegen der in der Regel hohen Steuerabzüge im Rahmen des Ehegattensplitting. Zweitens erhielten Frauen seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, weil sie nicht in tarifgebundenen Betrieben arbeiten.
Frauen lohnarbeiten in der Corona- Krise z.T. weniger. Vor Ausbruch der Pandemie arbeiteten männliche im Schnitt zehn Stunden mehr als weibliche Erwerbstätige mit betreuungsbedürftigen Kindern, im Frühjahr 2020 wuchs die Differenz auf zwölf Stunden, im Spätherbst lag sie noch bei elf Stunden. Eine ungewünschte Teilzeit könnte dauerhaft sein, denn für die sogenannten Arbeitgeber signalisierten kürzere Erwerbsarbeitszeiten aus familiären Gründen oftmals ein geringeres Arbeitsengagement. Das kann negative Folgen für den weiteren beruflichen Werdegang haben- wie geringere Löhne, weniger Weiterbildungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten.
2. Was passiert in den Familien? Erleben wir einen patriarchalen Rollback in der Corona- Krise? Eine Re-Traditionalisierung der Geschlechterrollen?
Die Coronapandemie festigt das Patriarchat, die klassische Rollenverteilung wird weiter zementiert. Die Last der Maßnahmen hängt an den Frauen. Die Kinderbetreuung, Home Schooling, Pflege von Familienmitgliedern und Haushaltstätigkeiten lasten überwiegend auf ihren Schultern. Weil die Männer oft ein höheres Einkommen haben, und die Paare es sich anscheinend nicht anders leisten können, so eine häufige Begründung. Frauen sind neben der Erwerbsarbeit dann auch für die Sorgearbeit zuständig. Sobald Kindertagesstätten und Schulen geschlossen sind, die Betreuungsmöglichkeiten also nicht mehr gegeben sind, müssen die Familien entscheiden, wie sie Erwerbs- und Sorgearbeit untereinander aufteilen. Sobald die Kinderbetreuung mit einer stärkeren beruflichen Einschränkung einhergeht, fallen die Familien schnell in traditionelle Muster zurück. Väter übernahmen während der Krise nur dann mehr Kinderbetreuung, wenn ihre Partnerinnen mehr Geld als sie verdienen oder in einem systemrelevanten Beruf arbeiten.
Unbezahlte Sorgearbeit wird überwiegend von Frauen übernommen. Dafür arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit und zahlen dadurch weniger in die Altersvorsorge ein. Zudem gehören viele Berufe der bezahlten Sorgearbeit, in denen mehrheitlich Frauen tätig sind, zu den schlechter bezahlten, beispielsweise Sozial- und Pflegeberufe oder Berufe im Reinigungsgewerbe.
Mit dem Existenzdruck, der Isolation, der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und steigendem Alkoholkonsum nimmt in den Familien auch die häusliche Gewalt zu. Das eigene Zuhause ist dann der gefährlichste Ort für Frauen. Und auch wenn sich im öffentlichen Raum weniger Menschen aufhalten, sind Frauen weniger geschützt. Oftmals wurden Beratungsstellen oder auch Frauenhäuser geschlossen, die Frauen waren den Männern noch mehr ausgeliefert. Weltweit entstehen durch Verdienstausfälle für viele Familien eine finanzielle Notsituation, die in extremen Fällen zu Menschenhandel, Zwangsprostitution oder Zwangsheiraten führt.
3. Was passiert mit den Alleinerziehenden?
Alleinerziehende treffen Schul- und Kitaschließungen besonders hart, sie können die Arbeit nicht aufteilen. In der Corona- Krise tragen Alleinerziehende eine doppelte Last- durch Kinderbetreuung und durch wegbrechendes Einkommen. Wenn sie ihre Kinder selbst betreuen müssen, können viele nicht arbeiten. Mehr als jedes fünfte Kind lebt in Armut, viele in Alleinerziehenden- Haushalten. 90% der ca. 1,5 Millionen Alleinerziehenden sind Frauen. Fast jede fünfte Familie ist ein Alleinerziehendenhaushalt. 2,13 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren wachsen in alleinerziehenden Familien auf.
Alleinerziehende haben ein besonders hohes Armutsrisiko. 2019 wurden laut Statistischem Bundesamt 42,7 Prozent der Alleinerziehenden als armutsgefährdet eingeschätzt. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im September 2020 mehr als die Hälfte der Haushalte im »SGB-II-Leistungsbezug« Alleinerziehendenhaushalte (52,2 Prozent). Dabei arbeiten Alleinerziehende viel öfter Vollzeit als Ehefrauen. Viele sind Hartz IV- Aufstocker*innen. Die Hälfte der Alleinerziehenden bekommt keinen Kindesunterhalt vom zumeist Vater. Und was ist, wenn Alleinerziehende krank werden?
4. Was passiert mit anderen marginalisierten Frauen und queeren Menschen?
Viele leiden unter psychischen Krisen. Gerade Alleinerziehende, Geflüchtete, Wohnungslose und Inhaftierte sind betroffen. „Bei 23 Prozent der 36-bis 45-Jährigen wird eine seelische Störung diagnostiziert- doppelt so häufig wie bei gleichaltrigen Männern.“ Bei Frauen werden häufiger Depressionen diagnostiziert als bei Männern.
„Besonders häufig leiden queere Menschen an Depressionen: Bei ihnen wird diese Diagnose doppelt so oft gestellt wie bei der restlichen Bevölkerung, wie erstmals eine Studie des Berliner DIW und der Uni Bielefeld für Deutschland zeigt. Internationale Untersuchungen bestätigen dies und zeigen außerdem ein fast sechsmal höheres Suizidrisiko bei transgeschlechtlichen Jugendlichen. In einer Befragung des Deutschen Jugendinstituts gaben queere Jugendliche an, dass Ausgrenzung in Schule und Familie, Beleidungungen und Gewaltandrohungen auch heute noch zu ihren Alltagserfahrungen gehören.“ (Berliner Morgenpost 5.3.2021)
Geflüchtete Frauen müssen aufs Engste in Massenunterkünften leben. Besonders in isolierten Sammellagern gibt es keinen ausreichenden Schutz vor sexualisierten Übergriffen und vor der Krankheit. „Wer keinen deutschen Pass hat, bekommt oft die schlechter bezahlten Jobs. (…) Zudem kommt es zu Benachteiligungen bei der Besetzung begehrter Stellen: So zeigen Untersuchungen des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, dass Bewerbungen von Schwarzen und muslimischen Menschen deutlich häufiger abgelehnt werden als vergleichbare von Konkurrent*innen.“ (Berliner Morgenpost 5.3.2021)
Frauen sind auf besondere Weise von Obdachlosigkeit bedroht. Manche verlieren ihre Wohnung, wenn die Rente nicht reicht oder eine Beziehung zerbricht. Häusliche Gewalt ist ein Grund, warum Frauen ihre Wohnung verlieren, die unsichere Wohnsituation vieler Frauen ein weiterer Grund. Couchsurfing ist ein bekanntes Phänomen bei wohnungslosen Frauen. Oft ist von verdeckter Obdachlosigkeit die Rede. Das Übernachten bei Bekannten schützt die Frauen vor Übergriffen in der Öffentlichkeit. Manche Frauen prostituieren sich, um ein Bett für die Nacht zu haben. Obdachlose und wohnungslose Frauen sind von Gewalt besonders bedroht.
Eine Sozialarbeiterin sagt: „Ich kenne viele wohnungslose Frauen, denen sieht man das gar nicht an. Die würden niemals auffallen und die sind auch sehr bedacht darauf. Auch die Würde zu bewahren, darum geht das auch. Ich glaube, bei Frauen ist dieses Bedürfnis noch viel größer.“ (Deutschlandfunk Kultur 7.1.2020)
Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe besagen, dass es in Deutschland mindestens 59.000 wohnungslose Frauen gibt. Tendenz steigend, auch die Zahl der älteren Frauen ohne Obdach steigt. Oftmals scheuen sie den Gang zu den Ämtern.
5. Was passiert mit älteren alleinstehenden Frauen?
Viele jener Frauen, die bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit geleistet haben, landen in der Altersarmut. Frauen im Rentenalter sind oftmals durch jahrelange Teilzeitarbeit, Erziehungszeiten ohne Einkommen und Tätigkeiten im Niedriglohnsektor besonders von Armut betroffen.
Neben dem Armutsrisiko haben sie auch noch ein hohes Infektionsrisiko. Es sind überwiegend Frauen, die zur Corona- Risikogruppe der über 80-Jährigen gehören. 2018 waren 62 Prozent der über 80-Jährigen und 74 Prozent der über 90jährigen Frauen. Für sie ist das Corona-Virus besonders gefährlich, da es in dieser Altersgruppe häufiger zu schweren Krankheitsverläufen führt. Bei den unter 90jährigen sterben allerdings mehr Männer als Frauen an Covid19.
Exkurs zur Altersdiskriminierung von Frauen, um sichtbar zu machen, wie es älteren Frauen im Kapitalismus gehen kann. Es ist nicht individuelles Versagen, wenn sie allein leben, sondern ein strukturelles Problem. Der nächste Abschnitt bezieht sich hauptsächlich auf heterosexuelle Frauen.
Ab dem 45. Lebensjahr nimmt die Zahl der alleinlebenden Frauen deutlich zu, zwischen dem 55. und 75. Lebensjahr steigt der Anteil rasant. Im Alter stehen viele Frauen ziemlich allein da, von Altersdiskriminierung der Frauen ist in der Gesellschaft oftmals keine Rede. US-Glücksforscher fanden heraus, dass sich Männer ab dem 48. Lebensjahr durchweg glücklicher als Frauen- in allen Lebensbereichen- fühlten. „Währenddessen wird der weibliche Teil der Gesellschaft immer trauriger, je weiter die Zeit voranschreitet.“, so Bascha Mika in ihrem Buch „Mutprobe“. Im Alter ist es selbstverständlich, dass sich Männer viel jüngere Frauen nehmen. Eva Illouz betont, dass Männer daher aus einem wesentlich größeren Angebot auswählen können als Frauen. Bascha Mika schreibt: Die Ängste der Frauen vor dem Alleinsein sind gesellschaftlich erwünscht und werden individualisiert durch die „Bewußtseinsindustrie“, „ansonsten ginge ihr ja auch ein lukratives Geschäft verloren. Von dem Moment an, wo wir ein Problem als gesellschaftliches erkennen, gehen wir ja wohl eher auf die Straße als in eine Therapie. Auf der Couch wird vielleicht unser Ich gestärkt- wogegen überhaupt nichts einzuwenden ist. Aber sozialer Druck entsteht woanders.“, so Bascha Mika.
Bei den Frauen hängt das „Grauen vor dem Älterwerden am Faktor Mann“. „Denn der Beziehungsmarkt für Frauen in den mittleren Jahren ist ziemlich hart. (…)
Hier herrschen soziale Formen der Paar-Organisation, die so gnadenlos kapitalistisch und gleichzeitig so reaktionär sind, dass man weinen- oder das System in die Luft jagen möchte.“ schreibt Bascha Mika. Vielen Männern scheint dagegen das Älterwerden nicht zu schaden. Im Gegenteil die Jahre können ihnen gut tun.
„Sie bedeuten ein Surplus: an Persönlichkeit, Ausstrahlung, Sicherheit und wenn`s gut läuft, sogar an Geld und Macht.“, so Mika. Meines Erachtens gibt es natürlich auch andere Männer, die mit den Jahren regelrecht untergehen, zum Beispiel durch Alkoholismus.
Ältere Frauen werden dagegen unsichtbar, schreibt Mika: „Unsichtbarwerden als Inbegriff weiblicher Demütigung. (…) Wo Frauen als Ware betrachtet werden, unterliegen sie auch Warenstandards. (…) Als Ware haben Frauen ein Haltbarkeitsdatum und wenn dieses abläuft (…) verfällt ihr Wert als Konsumgut.“ Mit dem Altern des Körpers geht ein Wertverlust einher. Die Medien-, Kosmetik- und Schönheitsindustrie verdient prächtig an vielen Frauen. 1991 beschrieb die US-amerikanische Autorin Naomi Wolf den „Mythos Schönheit“. Er lebe, „weil hinter ihm handfeste wirtschaftliche und politische Interessen stecken und die Absicht, Frauen unter Kontrolle zu halten.“
Altersdiskriminierung ist vor allem für viele Mittelschichtsfrauen ein wichtiges Thema, da sie aufgrund ihres Alters sogar in der Arbeitswelt und ihrem sozialen Status angegriffen werden. Genügt die Frau nicht mehr den Vorstellungen von Attraktivität, wird auch ihre Arbeit schlechter bewertet. Viele Frauen fürchten im Alter Nachteile im Job. Marginalisierte Frauen haben noch andere Probleme.
Es gibt ein Klassensystem unter Frauen, jene gut qualifizierten Frauen fast ohne Unterbrechung und später mit guter Rente und den anderen, zum Beispiel viele Alleinerziehende, Niedriglöhner*innen usw. Letztere bekommen oft die Rechnung präsentiert, wenn sie im Alter alleinstehend sind. Nämlich Altersarmut. Schon aus ökonomischen Gründen ist ein Mann für viele Frauen auch heute noch die letzte Rettung. Wird die ökonomische Abhängigkeit der Frauen von den Männern wieder größer? In dem Buch „Kein Ruhestand“ von Irene Götz kommen bis auf eine Frau bezeichnenderweise nur alleinstehende ältere Frauen aus München zu Wort. Viele sind geschieden, Männer waren für sie zumeist Belastungsfaktoren. Heute leben sie in Altersarmut.
Vor Corona hatten wir, paar Frauen in unserem Kiez, ein Frauenfrühstück in einem Nachbarschaftsladen organisiert. Damals war ich auch auf einer Frauenstreik-kundgebung zum 8. März 2019 am Hermannplatz in Berlin- Neukölln. Es war Feiertag. Viele junge Frauen waren da, nur noch ein, zwei ältere Frauen habe ich dort gesehen. Ich frage mich, warum werden ältere Frauen kaum erreicht? Warum sind in der feministischen Bewegung viele junge Frauen, wo sind die Älteren? Der Masse der Rentner*innen wurde auch vergessen in „Was ist dein Streik?“
Literatur zum Exkurs Altersdiskriminierung:
Naomi Wolf, Mythos Schönheit, Hamburg 1991/ Eva Illouz, Warum Liebe wehtut. Frankfurt 2012/ Bascha Mika, Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden. München 2014/ Irene Götz, Kein Ruhestand. Wie Frauen mit Altersarmut umgehen. München 2019