Nach 2006, 2008, 2010, 2012 gab es 2014 die fünfte Mitte- Studie der Friedrich- Ebert- Stiftung. Die Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig wurde beendet und eine neue mit dem Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung Bielefeld begonnen. Die Reihe „Deutsche Zustände“ und die FES- Mitte- Studien wurden 2014 zusammengeführt.
Von den Wissenschaftlern Elmar Brähler und Oliver Decker wiederum werden die Leipziger Mitte- Studien fortgesetzt. Siehe die neueste Studie 2016: http://www.rosalux.de/publication/42412
Die FES- Mitte- Studie 2014, Teil 2
Zu4) Marktförmiger Extremismus (Ökonomismus)
Es lasse sich seit Mitte der 1980er Jahre in Deutschland eine neoliberale Wende in der Sozial- und Wirtschaftspolitik beobachten. Eine aktivierende Sozialpolitik überträgt die Verantwortung immer stärker den Einzelnen. Alle Lebensbereiche werden der unternehmerischen Verwertungslogik unterworfen, so gibt es eine Ökonomisierung des Sozialen. Menschen werden nach reinen Kosten- Nutzen Maßstäben bewertet. Menschen fühlen sich in ihrem Lebensstandard bedroht.
„Gerade in dieser Verbindung von Bedrohungsängsten und marktförmigem Extremismus vermuten wir darüber hinaus ein gesellschaftliches Potential, an das gegenwärtige politische Mobilisierungsversuche anknüpfen, die durch ihre Verbindung von Wettbewerbslogiken mit Bedrohungsszenarien, Nationalismus und Menschenfeindlichkeit als wettbewerbspopulistisch bezeichnet werden können.“
Sie unterscheiden drei Facetten des marktförmigen Extremismus
1) der unternehmerische Universalismus: eine Norm der Selbstoptimierung. Von jedem werden unternehmerische Tugenden wie Flexibilität, Risikofreudigkeit, Kreativität, Eigenverantwortung etc. als Charaktereigenschaften gefordert, zielt auf den Abbau der Solidarität, Schuld bei fehlender Selbstoptimierung wird beim Einzelnen gesucht
(wirken in der Mitte und insbesondere in der obersten Schicht)
2) Wettbewerbsideologie: es wird ein allgegenwärtiger Wettbewerb gefordet, um Fortschritt und Erfolg zu erzielen
(in allen Schichten verbreitet, Zustimmungsraten zwischen 50 und 60%)
3) ökonomistische Werthaltungen: es werden ökonomische Kriterien auf die Bewertung von ganzen Bevölkerungsgruppen angewendet
(besonders die untere Schicht stimme folgendem zu: Keine Gesellschaft kann sich Menschen leisten, die wenig nützlich sind. Menschliche Fehler können wir uns nicht mehr erlauben.)
Laut FES- Studie würden vor allem die untere Schicht mit fast 30% dem marktförmigen Extremismus zustimmen. Die Mitte sei aber aufgrund ihrer neoliberalen Selbstoptimierungsnorm anfällig für ökonomistische Bewertungen von Menschen. Die Bedrohung des Lebensstandards sei Motor für marktförmigen Extremismus.
„Menschen, die marktförmigen Extremismus befürworten, tendieren auch dazu, die Aussagen zum Rechtsextremismus zu befürworten.“ Einen extrem hohen Zusammenhang gibt es zu Sozialdarwinismus und „Ausländerfeindlichkeit“ (Rassismus!).
„Marktförmiger Extremismus ist kein dominantes Phänomen in der Mitte, jedoch weist er über die unternehmerische Selbstoptimierungsnorm deutliche Verbindungslinien zur Mitte auf und öffnet dort damit Türen für Abwertung und Ausgrenzung mit dem Argument mangelnder Nützlichkeit und Ineffizienz. Marktförmiger Extremismus ist damit ein Ausdruck der Fragilität der Mitte.“
Wenn Bedrohungsängste dazu kommen, dann seien die Personen besonders anfällig für marktförmigen Extremismus. Die AFD greife insbesondere das wettbewerbspopulistische Potential als politisches Sprachrohr auf und scheine gerade diese ökonomisch menschenfeindliche Verbindung zu kanalisieren.
Zu5) Anti- europäische Reflexe
Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 in Europa werden euro- skeptische und EU- und Europa-kritische Stimmen laut. Es wird gegen südeuropäische Länder gehetzt, wie die „Pleite- Griechen.“ Selbst Stimmungsmache gegen nicht- heterosexuelle Menschen ist wieder zu beobachten. Die AfD proklamiert eine völkisch anmutende Familienpolitik. ¼ der Befragten haben eine Skepsis gegenüber der EU. Jene, die sich Sorgen um die finanzielle Situation der Deutschen aufgrund der Eurokrise machen und sich für eine Rückbesinnung auf Deutschland aussprechen, bieten ein Einfallstor für rechtspopulistische Akteure wie die AfD.
„Selbstverständlich sind nicht alle, die Kritik an der EU äußern, Rechtspopulisten oder gar Rechtsextremisten. Ähnlich wie bei der Demokratiekritik…“
Eine beträchtliche Zahl von Menschen verbindet diese Kritik aber mit der Abwertung von europäischen Nachbarn oder „Fremden“ (Muslime etc.) sowie „Abweichenden“ (nicht-heterosexuelle Menschen).
Der Brexit läßt grüßen…
Herausgegeben für die Friedrich- Ebert- Stiftung von Ralf Melzer
Andreas Zick, Anna Klein, Fragile Mitte, Feindselige Zustände, Dietz 2014