Gesellschaft der Angst

Die Exklusionsdrohung hört nie auf!

Der Soziologe Heinz Bude beschreibt in den elf Kapiteln seines gleichnamigen Buchs eine „Gesellschaft der Angst“. Die Phänomenologie der Ängste, so der Autor, veranschaulicht ein wesentliches Merkmal der modernen Gesellschaft. Roosevelt griff nach den Jahren der „Großen Depression“ das Thema der Angst auf. Die Aufgabe staatlicher Politik bestand seiner Auffassung nach darin, den Bürgern die Angst zu nehmen – durch die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates. Es ging um die „Bekämpfung der Angst davor, ausrangiert, entrechtet und diskriminiert zu werden“. Im Wohlfahrtsstaat konnte man durch Bildung, Anstrengung und Leistungsvermögen seinen Platz in der Gesellschaft finden, so Bude. Heute könne man alles falsch machen. Die Angst komme daher, „dass alles offen, aber nichts ohne Bedeutung ist. Man glaubt, in jedem Moment mit seinem ganzen Leben zur Disposition zu stehen.“ Überall finde ein „Auslesewettbewerb“ statt, die „Exklusionsdrohung“ höre nie auf.
Bude analysiert die verschiedenen Angsttypen in den jeweiligen Milieus. Die Angst der Gewinner bestehe im Kontrollverlust über das Feld der Konkurrenz. „Es sind jeweils kleine Differenzen in der Darstellung, die große Unterschiede im Ansehen und in der Bezahlung oder im Gewinn machen(…) Unter Performanzdruck gerät die Bestenauslese, wenn viele um die wenigen Spitzenplätze konkurrieren.“ Bildungszertifikate, Habitussicherheit oder Loyalitätsbekundung reichen nicht aus. Man muss ein „Extra“ bieten. Die gesellschaftliche Mitte dagegen befällt eine Statuspanik, da in ihrem Milieu Spaltungstendenzen sichtbar werden. Die Angst der Mitte zeigt sich am deutlichsten bei ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema Bildung. Den Geringverdienern dagegen schreiben sich Druck und Angst in die Körper ein. Sie befinden sich oftmals am Rand der Erschöpfung.
Bude spricht von einem „brüchigen Ich“. Die meisten Menschen stünden durch die „Pflicht zur Selbstwerdung“ unter „Optimierungsdruck“. „Der Optimierungswahn verdeckt nur die Existenznot“, so Bude. „Angst erschöpft (…) Man fühlt sich gehetzt, getrieben und angegriffen. Alles wirkt stumpf, matt und reizlos.“ Bude spricht von einer Angst vor der Niemandsherrschaft, bei der alle mitmachen. „Es ist die Angst, dass niemand diesen Prozess beherrscht, weil alle daran beteiligt sind und alle sich jeweils etwas Eigenes davon versprechen“.
Angst führe laut Bude zur „Tyrannei der Mehrheit, weil alle mit den Wölfen heulen, sie ermöglicht das Spiel mit der schweigenden Masse, weil niemand seine Stimme erhebt (…).“
Wenn Heinz Bude von der Wende vom „Korsett des Dürfens zur Mobilisierung des Könnens“ spricht, und davon, dass die ’negativen‘ Konzepte von Unterdrückung und Verbot durch die ‚positiven‘ von Öffnung und Entwicklung ersetzt werden“, so vergisst er den autoritären, unterdrückenden staatlichen Umgang mit der Armutsbevölkerung. Diese Leerstelle findet ihre Bestätigung in anderen Publikationen Budes, in denen er sich abwertend über die nicht erwerbsarbeitende „Unterschicht“ äußert.

Heinz Bude: Gesellschaft der Angst, preiswerte Ausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung 2015, 167 Seiten

In der Contraste 6/2015 veröffentlicht